„Sie brachten uns nach Libyen zurück, rissen meinen Pass in Stücke und warfen ihn weg.“

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„Sie brachten uns nach Libyen zurück, rissen meinen Pass in Stücke und warfen ihn weg.“

Rafi*, ein 34-jähriger Mann aus Bangladesch, floh mit 66 anderen Menschen auf einem überfüllten Holzboot aus Libyen. Nach einer schrecklichen Zeit auf See wurde er am Nachmittag des 25. Juni 2020 vom Team der Ocean Viking gerettet.

„Es ist das zweite Mal, dass ich versuche aus Libyen zu fliehen. Ich habe dort ein Jahr verbracht.

Das erste Mal, als ich versuchte über das Meer zu fliehen, ging uns der Treibstoff aus und die libysche Küstenwache erwischte uns. Sie brachten uns nach Libyen zurück, rissen meinen Pass in Stücke und warfen ihn weg. Anschliessend steckten sie mich in ein Gefängnis in Tripolis. Dort verbrachte ich 35 Tage. Ich musste 5.000 Dinar (etwa 3400 CHF) bezahlen, um meine Freiheit wiederzuerlangen. Um das Geld zu bekommen, rief ich meine Familie an. Sie half mir. Doch jetzt kann ich nicht mehr mit dem Flugzeug reisen.

Während der ganzen Zeit im Gefängnis haben wir nur einmal am Tag ein kleines Stück Brot gegessen. Die Menschen waren dabei, zu verhungern. Alle weinten jeden Tag. Wir hatten keinen Zugang zu einem Telefon und konnten nicht miteinander sprechen.

Es gibt sehr viele Gefängnisse (Internierungslager) in Libyen. Die einzige Möglichkeit dort herauszukommen ist, die libysche Polizei oder libysche Milizen zu bezahlen.

Meine Familie sagte mir, ich solle zum Arbeiten nach Libyen gehen. Wir kannten die Situation dort nicht. Wir dachten, der Krieg sei vorbei, aber das stimmt nicht. Es ist ein sehr gefährliches Land.

Vorher habe ich zehn Jahre lang in Saudi-Arabien gearbeitet. Ich kam im Alter von 19 Jahren an und wurde Zimmermann. Früher fuhr ich regelmässig nach Bangladesch, um meine Familie zu sehen. In dieser Zeit heiratete ich und bekam zwei Kinder. Sie sind jetzt ein und vier Jahre alt. Vor 2015 war das Leben in Saudi-Arabien recht gut. Ich musste 4.000 Saudi Riyal (etwa 1150 CHF) zahlen, um meinen Aufenthalt jedes Jahr zu verlängern. Nach 2015 stieg der Preis um das Fünffache und erreichte 20.000 Saudi Riyal (etwa 5.000 CHF). Dadurch war es dort nicht mehr möglich, einen Gewinn zu erzielen.

Also verkaufte mein Vater seine Farm, um meine Reise nach Libyen zu bezahlen. Er hat jetzt nichts mehr. Aber ich konnte dort nicht bleiben. Das Land ist absolut nicht sicher.

Mein Traum ist es, einen sicheren Ort zu finden, an dem ich arbeiten und mich um meine Familie kümmern kann. Mein Traum ist es, dass wir wieder als Familie vereint sind. Vielleicht wird das in 5 oder 10 Jahren möglich sein.“

*** Interview: Laurence Bondard, Communication Officer an Bord der Ocean Viking // Juni 2020

Photo credits: Flavio Gasperini / SOS MEDITERRANEE

* Der Name wurde geändert, um die Anonymität der Geretteten zu wahren.

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