DATUM

„Mein Name ist Francis. Ich komme aus Accra in Ghana und arbeite als Boots- und Steuermann auf der Aquarius. Ein Bootsmann kümmert sich um die Instandhaltung an Deck, ein Steuermann ist verantwortlich dafür Boote zu fahren, so wie die RHIBs (Festrumpfschlauchboote), die wir hier an Bord haben. Seit 2014 arbeite ich für Jasmund Shipping, die Reederei, der die Aquarius gehört, und in dem Jahr betrat ich auch das erste Mal die Aquarius.

Luft oder See?

Ich bin nun seit 22 Jahren Seemann. Als ich auf der Schule war, war es mein Traum Flugbegleiter zu werden. Nach meinem Abschluss schrieb ich mich auf einer Schule für Flugbegleiter ein. Eine der Voraussetzungen war allerdings Deutsch und Französisch zu lernen, das war mein Todesurteil – mein Französisch ist ein hoffnungsloser Fall! Das war einer der Gründe, der mich zur Seefahrt brachte; der andere war eine Freundin meiner Mutter, die auf Offshore-Erdölfeldern arbeitete und mir erzählte, dass sie dort Mitarbeiter suchten, um an Versorgungsschiffen zu arbeiten. Ich befolgte ihren Rat und machte meine Sicherheitsgrundausbildung, welche Zertifikate für Brandbekämpfung und persönliches Überlebenstraining beinhaltete.

Da war ich also, bei meinem ersten Job als Seemann mit 21 Jahren, draussen auf dem Meer. Es hat mir keinen Spass gemacht. Ich wurde seekrank und in den ersten zwei Monaten verlor ich schnell meine Begeisterung für den Job auf See. Ich sagte mir, reiss dich lieber zusammen und lerne Französisch, dann kannst du doch noch bei einer Airline arbeiten! Aber sobald ich zurück an Land war, waren alle so stolz auf mich, dass ich auf diesem Schiff gearbeitet habe; alle sagten mir wie toll das sei. Als die Freundin meiner Mutter fragte, ob ich es nochmal machen möchte, habe ich also ja gesagt. Ich fuhr los um auf einem Versorgungsschiff zu arbeiten, diesmal in einer anderen Position und in den Erdölfeldern vor der Küste Angolas.

Um die Welt in verschiedenen Rollen

Ich fing an meinen Job zu lieben! Es war ein Abenteuer für mich, ich liebte es, verschiedene Kulturen in Afrika zu sehen und fühlte mich wohl in meiner Rolle. Ich arbeitete ca. fünf Jahre lang auf ghanaischen Schiffen. Im Jahr 2006 fing ich an, für eine iranische Schifffahrtsgesellschaft auf einem Frachtschiff zu arbeiten, welches von Asaluyeh startete, einer kleinen Hafenstadt im Persischen Golf. Wir durchquerten den Indischen Ozean um in Indien auszuladen und fuhren dann weiter nach China, Korea und Australien.

Mit genau dieser Reederei habe ich die seltsamsten Ereignisse auf See erlebt: Einmal, da hatten wir gerade Singapur verlassen und waren nahe der Strasse von Malakka, da fing der Maschinenraum Feuer. Wir schafften es, das Feuer zu löschen, das Zertifikat für Brandbekämpfung war also wirklich nützlich. Ein anderes Mal, fast zum Ende meines Vertrages, beendeten wir eine Rundreise und waren im Hafen von Bandar Abbas im Iran. Auf dem Schiff hörten wir, wie der Kapitän alle in die Offiziersmesse rief. Als wir dort ankamen waren der Kapitän und der erste Offizier gefesselt und neben ihnen stand ein Mann mit einer Waffe. Der Kapitän sagte: „Dies ist keine Übung.“ Wir wurden überfallen! Einer von uns schaffte es, die Iranische Marine um Hilfe zu rufen, und ein anderer Kollege und ich konnten den Mann entwaffnen und festhalten, bis die Marine eintraf. Das war ziemlich heftig!

Nach einer Pause in Ghana ging ich nach Dänemark, um einen Bootsführerkurs zu absolvieren. Dann verpflichtete ich mich als RHIB-Fahrer bei einer niederländischen Reederei, die sich auf Gefahrenabwehr und Seenotkreuzer (ERRV) spezialisiert hat. Dort blieb ich von 2007 bis 2013. Wir arbeiteten in der Nordsee und boten Dienstleistungen an für Kundenschiffe, die in den Offshore Erdölfeldern arbeiteten, z.B. im Fall eines Brandes oder Mann-über-Bord-Zwischenfalls. Ich verbrachte immer 28 Tage auf See und 28 Tage zu Hause.

Freut mich dich kennenzulernen, Aquarius!

Im Jahr 2014 fing ich bei Jasmund Shipping an und arbeitete das erste Mal auf der Aquarius. Es war noch bevor SOS Méditerranée gegründet wurde. Damals hatte unsere treue Aquarius noch einen anderen Job: Sie wurde als Vermessungsschiff genutzt, zur Analyse der Wassertiefe für Schwimmbagger in der Nähe des Hafens von Sabetta, auf der Yamal Insel im Norden Russlands. Baggerarbeiten sind Aushubarbeiten um die Wasserwege schiffbar zu machen. Es gibt eine Fabrik in Sabetta für verflüssigtes Erdgas (LNG) und der sonst eher schmale Wasserweg musste tief genug sein für die grossen chinesischen Schiffe, um die Fabrik zu erreichen. Damals war ich von Juli bis November auf der Aquarius.

Danach legte die Aquarius ein Jahr lang in Deutschland an und Jasmund suchte nach neuen Frachtern. In der Zwischenzeit arbeitete ich auf einem Schwesternschiff, auch ein Jasmund Vermessungsschiff, das in Polen eingesetzt wurde. Bis zu dem Tag, an dem ich eine Email erhielt, dass wir ein neues Projekt hatten, eine Rettungsmission und, dass ich als RHIB-Fahrer auf die Aquarius versetzt würde. Ich war aufgeregt, als ich es las, denn ich spürte, dass ein neues Abenteuer beginnen würde.

Aquarius und SOS MEDITERRANEE

Ich war von Anfang an bei SOS MEDITERRANEE dabei, genau hier auf der Aquarius als wir sie von Deutschland nach Frankreich und dann nach Palermo, Sizilien brachten, und dann weiter in die Such- und Rettungszone im zentralen Mittelmeerraum. Ich werde nie meine erste Rettung vergessen. Es war im März 2016: wir retteten 98 Menschen. Es war unsere erste Rettungserfahrung als Organisation, wir gaben unser Bestes und alles verlief reibungslos. Ich war so glücklich Leben zu retten. Zwischen den Geretteten war auch ein Mann aus Ghana, das hinterliess natürlich einen besonderen Eindruck bei mir. Wir blieben eine Zeit lang in Kontakt, haben ihn aber mittlerweile verloren. Ich frage mich wie es ihm wohl geht.

Eine andere Rettungsaktion die ich nie vergessen werde, war die Rettung eines grossen Holzbootes im letzten Sommer voller Marokkaner und Westafrikaner. Wir waren dabei, Rettungswesten zu verteilen, als der Bootsführer rief, dass eine Mutter mit Kind an Bord war. Ich dachte, ok, eine Mutter mit Baby im Arm, ja klar. Was ich nicht erwartete war, dass das Baby wortwörtlich noch an mit seiner Nabelschnur an seiner Mutter hing, die Geburt hatte auf dem Holzboot stattgefunden! Ich weinte innerlich, aber ich musste mich konzentrieren, ich musste das RHIB steuern. Also evakuierten wir die beiden zuerst und auf der Aquarius bekamen sie die nötige Hilfe. Ich habe so viele Rettungen erlebt aber diese war einzigartig und besonders.

Eine traurige Erinnerung habe ich von der Nacht, als ich Kontrollwache auf dem Deck hatte. Die Geretteten schliefen alle, bis auf einen Mann, der sich immer wieder aufsetzte und gestikulierte, dann legte er sich wieder hin. Es schien ihm nicht gut zu gehen, also gab ich ihm einen Brechbeutel und informierte den SARCO (Such- und Rettungskoordinator), dass er sich schlecht fühlte. Aber er war bereits dabei zu sterben. Wir riefen sofort den Arzt, aber es gab nichts was wir tun konnten, und der Mann starb noch auf der Aquarius.

Mein Wunsch ist es weiterhin den Job zu machen, den ich auf der Aquarius mache. Ich wäre traurig, wenn ich auf ein anderes Schiff versetzt werden würde. Ich war von Anfang an hier und würde gern bleiben bis zum Ende des Ganzen, bis SOS Méditerranée und Jasmund getrennte Wege gehen.

Oh und mein Französisch ist immer noch nicht das Beste.“

 

Übersetzung aus dem Englischen von Juliane Kraus
Photo Credits: Yann Levy

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