DATUM

Inhaltswarnung: der folgende Text beschreibt ein fatales Schiffsunglück. Das Bild am Ende des Texts zeit eine tote Person.


Bericht von Alessandro, Mitglied des Such- und Rettungsteams auf der Ocean Viking

„Mehr als 24 Stunden suchte die Ocean Viking nach zwei Booten in Seenot, die weit voneinander entfernt waren.

Von dem ersten konnten wir keine Spur finden und können nur hoffen, dass es entweder an Land zurückgekehrt ist oder die Menschen einen sicheren Ort erreicht haben.

Das zweite versuchten wir mitten in einem Sturm zu erreichen, bei Nacht und sechs Meter hohen Wellen.

Ich gebe gerne zu, dass ich einige Stunden im Badezimmer verbringen und mich übergeben musste. Die Mittel Promethazin und Dimenhydrinat und die Hälfte der letzten drei Jahre, die ich auf See verbracht hatte, konnten hier nicht helfen. Ich war erschöpft, dehydriert, schaffte es kaum zurück ins Bett. Und das, obwohl ich von einem mächtigen Schiff geschützt wurde, das mit tausenden von Tonnen an Gewicht den Wellen trotzt.

Draussen, irgendwo in denselben Wellen, war ein Boot mit 120 Menschen an Bord. Oder 100, oder 130. Wir werden es nie erfahren, denn sie sind alle tot.

Im Morgengrauen nahmen wir die Suche wieder auf, zusammen mit drei Handelsschiffen, ohne Koordination oder Hilfe von irgendeinem Staat. Wäre ein Flugzeug in derselben Gegend abgestürzt, wären die Seestreitkräfte von halb Europa vor Ort gewesen, aber es waren „nur Migrant*innen“. Sie liessen die Menschen auf dem Schlauchboot und uns allein.

Am Nachmittag entdeckte das Handelsschiff “My Rose” das Wrack des Schlauchbootes. Als wir uns ihm näherten, trieb es in einem Meer von Leichen. Buchstäblich. Vom Boot war nicht mehr viel übrig und von den Menschen sind nicht einmal die Namen geblieben.

Machtlos hielten wir eine Schweigeminute ab, die an Land widerhallen sollte. Die Dinge müssen sich ändern, die Menschen müssen es erfahren.“

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Foto: Flavio Gasperini

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