„Ich möchte die Welt darauf aufmerksam machen, was in Libyen geschieht: Auf den Sklavenhandel, auf die Gefangenenlager und auf alles andere.“

DATUM

Jahia*, 22 Jahre alt, war eine der 295 Personen, die zwischen dem 24. und dem 27. April von der Crew der Ocean Viking gerettet wurden. Die junge Frau wurde zusammen mit 58 anderen Überlebenden aus einem in Seenot geratenen Schlauchboot gerettet, nachdem dieses von der Brücke der Ocean Viking aus gesichtet worden war.

Obwohl sie erst Anfang 20 ist, hat Jahia vor ihrem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, bereits viel erleben müssen. Mit 17 Jahren flüchtete sie aus ihrem Heimatland Kamerun, da sie dort zu einer unfreiwilligen Heirat gezwungen worden war. Auf der Flucht wurde sie im Niger entführt und nach Libyen verschleppt, wo sie zweimal als Sklavin zur Zwangsarbeit verkauft wurde. In der Zwangsarbeit beschloss sie aus Libyen nach Europa zu fliehen, obwohl dies nie ihr Ziel gewesen war. Ihren schwierigen Weg hat Jahia uns eindrucksvoll geschildert. 

 „Ich habe fünf Jahre in Libyen verbracht und Kamerun mit 17 Jahren verlassen, nachdem ich zwangsverheiratet worden war. Ich kann dazu nicht mehr sagen, weil es eine sehr schmerzhafte Erinnerung ist, zu schmerzhaft. Ich ging zuerst nach Nigeria, Benin und Niger. An der Grenze zu Niger wurde ich mit anderen Menschen, die sich auch auf der Flucht befanden, entführt. Eine Gruppe von Männern verlangte von uns 500 000 CFA, um freigelassen zu werden. Sie sagten uns, wir sollten unsere Familien anrufen, während sie uns schlugen, damit der Betrag gezahlt werde. Ich hatte keine Familie mehr, die ich anrufen konnte. Ich konnte nicht freigelassen werden. Leute wie ich wurden dann in Lastwagen verfrachtet. Wir durchquerten drei Tage lang die Wüste. Ohne Essen und Wasser. Drei Menschen mussten erbrechen während der Fahrt. Zwei starben. Sie wurden in der Wüste abgeworfen. 

Wir wurden nach Libyen gefahren. Bei unserer Ankunft kamen Menschen zu den Lastwagen. Sie wollten uns kaufen. Manche kauften zwei von uns auf einmal, andere drei, wieder andere nur eine Person. Herr Ibrahim kaufte nur mich. 

Ich habe drei Jahre lang in seinem Haus gearbeitet, für seine ganze Familie. Ich konnte nie nach draußen gehen und habe die ganze Zeit nur geputzt. Ich bin nie bezahlt worden, kein einziges Mal. Ich durfte mich nicht ausruhen, weder nachts noch tagsüber. Die wenigen Schlafzeiten, die ich hatte, waren in seinem Laden. Und essen durfte ich nur einmal am Tag. 

Eines Tages wurde ich schwer krank. Herr Ibrahim hatte Angst, dass ich bei ihm sterben würde, also verkaufte er mich an einen anderen Libyer. Gott sei Dank war dieser Mann nett zu mir: Ich konnte essen, wann immer ich wollte. Er hatte zwei Kinder und ich kümmerte mich um sie. Ich wurde gut behandelt: Manchmal, wenn er mit seinen Kindern auf den Jahrmarkt ging, nahm er mich mit, damit ich mich auch amüsieren konnte. Ich blieb zwei Jahre dort, aber ich war immer noch unglücklich, weil ich nicht frei war. Ich wollte frei sein wie alle anderen. Ich wollte mein Leben selbst in die richtigen Bahnen lenken, wie jedes andere Mädchen in meinem Alter. Deshalb bin ich geflohen. 

Auf einer Baustelle traf ich auf Menschen, die ebenfalls aus ihrem Land geflohen waren. Ein senegalesischer Mann versteckte mich und gab mir Kleidung und Essen. Ich blieb zwei Monate in seiner Wohnung. Eines Tages fragte er mich, ob ich nach Italien gehen wolle. Ich fragte ihn, ob das von Libyen aus möglich sei. Er antwortete: „Ja, es ist nicht gefährlich, du kannst übersetzen“. Ich akzeptierte. 

Er brachte mich an einen Ort, wo andere Menschen waren, die wie ich aus ihrem Land geflohen waren. Jeder und jede hatte eine eigene Geschichte. Einige verließen ihr Land aus politischen Gründen, andere wegen des Krieges, andere wegen einer Zwangsheirat, wieder andere wegen des Elends. Eines Nachts nahm man uns mit und setzte uns um 3 Uhr morgens auf einem Boot aufs Meer. Nicht einmal eine Stunde später brach die Holzplanke am Boden des Schlauchbootes in zwei Teile. Wasser begann einzudringen. Wir schöpften Wasser, immer und immer wieder. Vielen Menschen wurde durch die Wellen und den Geruch des Treibstoffs übel. Die Mischung aus Treibstoff und salzigem Meerwasser hat auch mein Bein verbrannt. Zum Glück wurden wir einige Stunden später gerettet. 

Das Bild zeigt die Struktur des kaputten Bootes, welches Jahia in ihrer Aussage erwähnte. Unsere Teammitglieder zerstören das Gummiboot, um sicherzustellen, dass es nicht wieder verwendet wird.

 

Ich möchte ein normales Leben führen, wie jeder andere auch. Ich würde gerne mein Studium wieder aufnehmen. Ich möchte aus Liebe heiraten. Ich möchte arbeiten und dafür bezahlt werden. Ich möchte Kinder haben. Ich möchte Krankenschwester werden. Ich wollte immer schon das Leben von Menschen retten, bereits als Kind. 

Ich erzähle meine Geschichte heute, weil ich von der Lage in Libyen berichten möchte. Libyen ist ein Land, das nicht jeder kennt. Ich kannte es nicht, bevor ich dort ankam. Ich möchte die Welt darauf aufmerksam machen, was in Libyen geschieht: Auf den Sklavenhandel, auf die Gefangenenlager und auf alles andere. Wenn man nach Libyen geht, muss man mit dem Schlimmsten rechnen. Schwarze Menschen haben nicht mehr wert als Schafe. Einige Leute haben in ihren Gärten ihre eigenen privaten „Gefängnisse“ gebaut, Hafträume, die vom Staat nicht anerkannt werden. Wenn sie Schwarze entführen, sperren sie sie dort ein und verlangen Lösegeld von ihren Familien, während sie sie schlagen. Manchmal verlangen sie bis zu 1 Million CFA. Sie töten Menschen, wenn diese kein Geld haben. Wir haben keine Rechte in Libyen.“  

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 *Der Name wurde geändert, um die Identität der Überlebenden zu schützen. 

Foto: Claire Juchat / SOS MEDITERRANEE 

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