DATUM

2020 war ein Ausnahmejahr – auch für die Seenotrettung!

Umso glücklicher sind wir, dass die Ocean Viking endlich frei ist. Vor wenigen Tagen ist unser Rettungsschiff in Marseille eingetroffen, wo die Crew nach einer Quarantänezeit und Covid-19-Tests an Bord geht, damit wir unseren lebensrettenden Einsatz so schnell wie möglich wieder aufnehmen können.

Es war ein steiniger Weg bis zur Freilassung. Denn wenn es neben der Covid-19-Pandemie noch einen weiteren Wendepunkt in diesem herausfordernden Jahr gibt, dann sind es die Festsetzungen ziviler Rettungsschiffe aus administrativen Gründen. Seit April versuchen die europäischen Regierungen um jeden Preis zivile Rettungsschiffe vom Mittelmeer fernzuhalten – mit fadenscheinigen Begründungen. Wie wir durch dieses Jahr gekommen sind, was wir auf See und an Land erlebt haben, könnt ihr in diesem Jahresrückblick nachlesen.

An dieser Stelle ein riesiges DANKE an alle, die uns als Freiwillige unterstützen, die mit uns auf die humanitäre Krise im Mittelmeer aufmerksam machen und die gespendet haben! Nur dank euch ist unser Einsatz möglich – #TogetherForRescue

Januar

Auf See

Gleich zu Jahresbeginn führten unsere Teams mehrere Rettungen durch. Doch die fehlende Koordination von Such- und Rettungseinsätzen erschwerte die Arbeit von zivilen Rettungsschiffen erheblich: Boote in Seenot ausfindig zu machen und zur Hilfe zu kommen wurde zur Herausforderung.

Dennoch rettete die Ocean Viking Ende Januar 407 Menschen in weniger als 72 Stunden, darunter zwölf schwangere Frauen und 153 Minderjährige. Alle Rettungen fanden nachts und unter sehr schwierigen Bedingungen statt.

Februar

Auf See

Während sich die EU darauf einigte, die Operation Sophia einzustellen und somit Boote in Seenot zu meiden, rettete die Ocean Viking innerhalb von 48 Stunden 274 Menschen vor der Küste Libyens. Am 23. Februar konnten die Überlebenden in Pozzallo, Italien, an Land gehen. Dort wurden die Überlebenden unter Quarantäne gestellt. Auch die Crew von SOS MEDITERRANEE musste für zwei Wochen in Quarantäne.

An Land

Am 6. Februar organisierte die Freiwilligengruppe von Neuchâtel eine Versteigerung von 65 Kunstwerken, welche von 27 Künstler*innen an SOS MEDITERRANEE gespendet wurden. Die Stadt Neuchâtel spendierte den «Vin d’honneur» für die Vernissage, welche in Anwesenheit des Stadtpräsidenten stattfand. Der Staatsanwalt und Schriftsteller Nicolas Feuz und die Auktionatorin Célia Schiess begleiteten den Anlass musikalisch, während der Humorist Christian Mukuna die Versteigerung moderierte. Mehr als 20’000CHF wurden dank dieser Auktion gesammelt!

Am 10. Februar fuhren mehrere Koordinator*innen verschiedener Freiwilligengruppen von SOS MEDITERRANEE nach Marseille, um die Ocean Viking zu besichtigen und die Teams an Bord zu treffen. Leonie aus Bern teilte ihre Eindrücke in einem kurzen Interview.

März

Auf See

Die Ocean Viking traf im Hafen von Marseille ein. Sie konnte nicht – wie ursprünglich geplant – vom italienischen Hafen Pozzallo in den Rettungseinsatz in das zentrale Mittelmeer zurückkehren.

Die Pandemie führte in den meisten europäischen Staaten zu schwerwiegenden Einschränkungen beim Zugang zu medizinischer Versorgung. Gleichzeitig brachte sie die Schifffahrt zum Erliegen. In dieser dynamischen Situation stand es in unserer Verantwortung, genau zu bewerten, unter welchen Bedingungen wir wieder auslaufen können.

April

Auf See

Die Corona-Pandemie verschärfte die humanitäre Lage im Mittelmeer weiter. Die Seenotrettung kam durch die COVID-19-Massnahmen fast vollständig zum Erliegen. Italien und Malta erklärten in einem Erlass mit Verweis auf die öffentliche Gesundheit ihre Häfen für das Anlanden von aus Seenot geretteten Menschen für „unsicher“. Auch die im Herbst 2019 beschlossene Malta-Vereinbarung zur Aufnahme und Verteilung aus Seenot geretteter Menschen wurde ausgesetzt.

Doch auch während der Pandemie fliehen weiterhin Menschen über das zentrale Mittelmeer. Der April war gekennzeichnet von einem tragischen Osterwochenende, an dem aufgrund eines chaotischen und unkoordinierten Rettungseinsatzes zwölf Menschen im Mittelmeer ertranken.

Unterschiedliche Einschätzungen zur Wiederaufnahme der Einsätze auf See unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie führen Ende April zur Aufhebung der Partnerschaft mit Ärzte ohne Grenzen.

An Land

Alle geplanten Veranstaltungen für die Monate März und April mussten aufgrund der sanitären Lage abgesagt oder verschoben werden. Um jedoch zu zeigen, dass die Mobilisierung der Menschen an Land während einer Pandemie weitergeht sowie um die europäischen Staaten aufzufordern, internationales Seerecht zu respektieren, startete SOS MEDITERRANEE die Online-Solidaritätskampagne «Alle retten».

Mai

Am 5. und 6. Mai setzen italienische Behörden nach Hafenstaatkontrollen die zivilen Rettungsschiffe Alan Kurdi (Sea-Eye) und Aita Mari (Salvamento Marítimo Humanitario) im italienischen Hafen von Palermo fest. Sie markieren den Beginn einer Reihe neuer administrativer Blockaden der lebensrettenden Arbeit ziviler Organisationen im Mittelmeer.

Juni

Auf See

Am 22. Juni stach SOS MEDITERRANEE mit einem eigenen medizinischen Team und unter einem strengen Covid-19Protokoll wieder in See. Bei vier Rettungseinsätzen am 25. und 30. Juni werden insgesamt 181 Personen gerettet.

An Land

Im Juni konnten wir gewisse Veranstaltungen an Land wieder aufnehmen und zeigten unsere grosse Fotoausstellung auf dem Bahnhofsplatz in Bern. Die Ausstellung wurde in Anwesenheit des Stadtpräsidenten eröffnet. Um daran zu erinnern, dass auch in Zeiten einer globalen Pandemie noch immer Menschen über das Mittelmeer fliehen und die humanitäre Notlage dort anhält, wurde die Ausstellung anschliessend ebenfalls in Wabern, Luzern, Zürich und Lausanne gezeigt. Hier könnt ihr mehr über die Citytour unserer Ausstellung lesen.

Zusätzlich zur Ausstellung verschoben wir ein geplantes Podium aufs Internet. Vier Vertreter*innen aus der Politik und der Zivilgesellschaft diskutierten online über die Situation auf den Fluchtrouten – insbesondere auf dem zentralen Mittelmeer –, über Handlungsmöglichkeiten und über laufende Initiativen. Mit dabei war Till Rummenhohl, ehemaliges Rettungsteammitglied von SOS MEDITERRANEE. Die Diskussion kann hier nachgeschaut werden.

Juli

Auf See

Nach sechs Selbstmordversuchen Geretteter innerhalb von 24 Stunden und sieben ergebnislosen Anfragen um die Zuweisung eines sicheren Orteswurde am Nachmittag des 03. Juli der Notstand an Bord der Ocean Viking ausgerufen – das erste Mal in vier Jahren Einsatz. Die Situation auf dem Schiff hatte sich so zugespitzt, dass die Sicherheit der 180 Überlebenden und der Besatzung nicht mehr gewährleistet werden konnte.

Vier Tage später können die Geretteten endlich von Bord gehen. Die Besatzung der Ocean Viking wird für zwei Wochen unter Quarantäne gestellt. Danach setzen die italienischen Behörden die Ocean Viking am 22. Juli 2020 aus administrativen Gründen in Porto Empedocle, Sizilien, fest.

Nach der Festsetzung der Ocean Viking wurde eine Petition gestartet, die von über 115’000 Menschen unterzeichnet wurde. Vielen Dank an alle Unterstützenden!

An Land

Am 4. Juli brach Régis, Geographielehrer und Freiwilliger der Genfer SOS Freiwilligengruppe, von Genf aus zu einer 2500 km langen Fahrradtour auf. Bei dieser Aktion sammelte er 4’580 CHF für die Such- und Rettungseinsätze der Ocean Viking und half uns somit, Leben im Mittelmeer zu retten. Entdecke sein Abenteuer hier!

September

Auf See

Mit unserem neuen Webseitenformat „Blick auf das zentrale Mittelmeer“ tragen wir unserem Ziel, die europäische Öffentlichkeit über die Situation im Mittelmeer zu informieren, Rechnung. Ab September geben wir auf Grundlage öffentlicher Berichte von NGOs, internationaler Organisationen und der internationalen Presse alle zwei Wochen einen Überblick zur Situation und zu Such- und Rettungseinsätzen im zentralen Mittelmeer.

An Land

Am 5. September organisierte die Freiwilligengruppe von Genf eine Veranstaltung zum Thema Seenotrettung in der Barje am Ufer der Rohne. Nebst festlicher Stimmung mit DJ-Musik wurden nach Eindunkeln zwei kurze Dokumentarfilme zu den Rettungseinsätzen von SOS MEDITERRANEE gezeigt.

Am 11. September organisierten die Freiwilligen des Kanton Wallis in Zusammenarbeit mit der Stadt Sion ein Benefizkonzert. Der Anlass war ein grosser Erfolg: 700 Personen schauten vorbei und genossen einen schönen Sommerabend mit Musik, Getränken und Essen. Über 2000.- CHF konnten für die Rettungseinsätze der Ocean Viking gesammelt werden.

Oktober

An Land

Am 3. Oktober, dem fünften Jahrestag des tragischen Schiffsbruch vor der Küste Lampedusas, wurde der Dokumentarfilm «Nummer 387 – Verschwunden im Mittelmeer» in mehreren Städten in Frankreich, Deutschland, Italien und der Schweiz gezeigt. Herzlichen Dank an alle Freiwilligen, die uns bei der Organisation dieses einmaligen Anlasses unterstützt haben!

Am selben Tag, organisierte das Ensemble «Gufo Reale», zusammen mit der Puschlaver Sängerin Manuela Tuena, ein Benefizkonzert in Zürich zu Gunsten von SOS MEDITERRANEE. Über 1700 CHF wurden an diesem Anlass gesammelt!

November

Auf See

Der November war der tödlichste Monat des Jahres 2020 im zentralen Mittelmeer. Mindestens 84 Leichen wurden an Land gespült und 77 Menschen wurden nach einer Reihe von tödlichen Schiffsunglücken weiterhin vermisst. Im November wurde zudem die höchste Anzahl von illegalen Push-Backs nach Libyen aufgezeichnet: 1.742 Menschen wurden auf See abgefangen und gewaltsam nach Libyen zurückgebracht.

Am 23. November erhielt die Ocean Viking nach einer erneuten Inspektion durch die italienische Küstenwache die Erlaubnis für eine einmalige Fahrt in die Werft von Augusta, Sizilen. Die dort vorzunehmenden Anpassungen sollen zur unverzüglichen Freilassung unseres Rettungsschiffes führen.

An Land

Am 26. November fand im Anschluss an die Filmvorführung des Dokumentarfilms #387 eine Diskussion mit Madeleine Leroyer (Regisseurin), Claire Juchat, Abdulahi Osmail, der selber über das Mittelmeer geflohen ist, und Patrick Youssef, dem regionalen Einsatzleiter des IKRK in Afrika, statt. Eröffnet wurde die Diskussion von der ehemaligen Schweizer Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey. Die Konferenz könnt ihr hier nachschauen.

Dezember

Auf See

Die Ocean Viking ist wieder frei. Nachdem wir monatelang Tag und Nacht darauf hingearbeitet haben, wird die Ocean Viking am 21. Dezember nach einer Inspektion durch die italienische Küstenwache als konform mit ihrer Auslegung der Schiffssicherheitsvorschriften eingestuft. Nach der Freilassung nimmt die Ocean Viking am 23. Dezember Kurs auf Marseille, wo sie vier Tage später eintrifft.

In Marseille unterziehen sich unsere Teams einer Quarantäne, werden auf COVID-19 getestet und erste Trainings beginnen, bevor wir in unseren lebensrettenden Einsatz ins zentrale Mittelmeer zurückkehren.

In unserem Bericht „Schiffbrüchige Jugend“ veröffentlichten wir die Geschichten von zehn Jugendlichen. Ergänzt durch zusätzliche Informationen und Fakten machen wir auf die besonderen Schutzbedürfnisse Minderjähriger aufmerksam und versuchen die komplexen Realitäten, die sie letztendlich an Bord eines unserer Rettungsschiffe geführt haben, begreifbar zu machen.

An Land

Am 18. Dezember fand ein online Input- und Diskussionsabend zur aktuellen Lage im Mittelmeer statt, mit Chiara Schwerzmann, Praktikantin bei SOS MEDITERRANEE und ehemalige Freiwillige in Genf; Constanze Broelemann, Pfarrerin, die an Bord der Sea Watch 4 war, Samira Marti, Nationalrätin SP, Andreas Nufer, Pfarrer Heiliggeistkirche Bern.

Herzlichen Dank an alle, die uns in diesem Jahr unterstützt haben!

 

 

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