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 “Für viele ist das Meer etwas Schönes und Poetisches. In Wirklichkeit ist es gefährlich und oft komplex.”

 

Lucas ist 26 Jahre alt und hat schon viele Jobs an Bord verschiedener Schiffstypen durchlaufen; von Yachten über Frachtschiffe bis hin zu alten Segelschiffen: “Die Arbeit auf See ist etwas ganz Besonderes. Sie gibt dir sowohl ein starkes Gefühl der Freiheit als auch der Enge, wenn man rund um die Uhr mit seinen Kollegen zusammenlebtAlle Seeleute sind auf eine Art Workaholics”. Aber das ist nicht alles, was die See zu bieten hat. In der Welt der Schifffahrt gibt es einen starken Geist der Solidarität. Während die Solidarität in vielen anderen Bereichen abnimmt, gibt es auf See immer noch einen “esprit de corps” mit einer eigenen Sprache und einer besonderen Ethik. Angesichts der Naturgewalten und ihrer Unermesslichkeit, der Tiefe und der Unvorhersehbarkeit der Gewässer haben die Seeleute eine sehr menschliche Art, sich zu organisieren.”

Sobald er 2016 seinen Bootsführerschein gemacht hatte, bewarb sich Lucas für das Rettungsteam von SOS MEDITERRANEE. Als junger Seefahrer wurde ihm damals geraten, mehr Erfahrung im maritimen Bereich zu sammeln. “Das habe ich getan”, sagt er, während er sich auf seinen ersten Rettungseinsatz auf See vorbereitet. “Ich habe fünf Jahre lang gearbeitet und mich freiwillig bei SOS MEDITERRANEE engagiert, bis ich mich bereit fühlte.”

Für Lucas ist es nicht einfach zu erklären, warum er sich für eine Rettungsmission im zentralen Mittelmeer entschieden hat.

“Für mich liegt es auf der Hand. Solidarität auf See ist nicht verhandelbar. Im Gegensatz zu meinen früheren Jobs, bei denen ich regelmässig den Sinn meines Tuns hinterfragte, ist die Hilfe für Menschen in Seenot eine Selbstverständlichkeit.”

Seefahrer und humanitärer Helfer zu sein, ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Für Lucas ist es eine Mischung aus beidem, die man sich mit der Zeit aneignen kann, und zwar durch die Trainings, die erfahrene Retter*innen leiten. “Ich hatte Dutzende von Rettungsvideos in den Medien gesehen, aber als ich mir Videos anschaute, nachdem ich erfuhr, dass ich an Bord sein würde, wurde mir etwas mulmig zumute. Niemand kann sich wirklich auf Situationen vorbereiten, in denen man möglicherweise mit dem Tod konfrontiert sein wird. Aber die Schulungen [von SOS MEDITERRANEE], zunächst online und dann an Bord, halfen sehr dabei, zu begreifen, was auf einen zukommt.”

Lucas bedauert, dass die akute und ernste Gefahr, der Menschen, die auf seeuntüchtigen Schlauchbooten aus Libyen fliehen, ausgesetzt sind, heute keine starken Reaktionen mehr auslöst. Ich habe den Eindruck, dass wir uns so sehr an diese dramatischen Bilder gewöhnt haben, dass wir nicht einmal mehr versuchen müssen, sie zu ignorieren und zu unserem Alltag zurückzukehren.

Dieses allgemeine Desinteresse motiviert mich heute noch mehr zum Handeln. Wir müssen denjenigen helfen, die zurückgelassen wurden. Dies gilt umso mehr in der gegenwärtigen Situation, in der sich die europäischen Mitgliedstaaten von der Pflicht entbunden haben, Menschen in Seenot, die unter Lebensgefahr aus Libyen fliehen, zu helfen. Lucas und seine 24 Kollegen von SOS MEDITERRANEE und der IFRC konnten im Dezember 114 Menschen in Seenot retten. Unter den Geretteten war ein gerade mal 11 Tage altes Baby.

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Fotonachweis: Laurence Bondard / SOS MEDITERRANEE

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