[MEDIENMITTEILUNG] 180 gerettete Menschen an Bord der Ocean Viking und kein sicherer Ort, an dem sie an Land gehen können

DATUM

Bern, 2. Juli 2020, Caroline Abu Sa‘Da, Geschäftsführerin von SOS MEDITERRNEE Schweiz:

„Nach vier Rettungen hat SOS MEDITERRANEE bereits fünf Mal einen sicheren Hafen für die am Donnerstag letzter und am Dienstag dieser Woche Geretteten bei den italienischen und maltesischen Behörden angefordert, bislang ohne Erfolg. Für die 180 Überlebenden an Bord der Ocean Viking wächst die Anspannung und der Stress durch die Ungewissheit. Sie haben unseren Teams mitgeteilt, dass sie zwei bis fünf Tage auf See verbracht hatten, bevor sie von der Ocean Viking gerettet wurden. Das bedeutet, dass sich einige von ihnen seit mehr als acht Tagen unter prekären Bedingungen auf See befinden. Diese Situation ist unerträglich.

Diese Erfahrung zeigt einmal mehr, dass wir dringend eine staatlich organisierte europäische Seenotrettung brauchen. Das Malta-Abkommen von 2019, das wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt wurde, muss wieder aktiviert werden. Mit der Vereinbarung könnten die auf See geretteten Menschen gerecht auf europäische Länder verteilt werden. Doch stattdessen verweigern die Staaten uns jetzt ihre Häfen.

Mit 180 Geretteten an Bord der Ocean Viking ist die Ausschiffung an einem sicheren Ort dringend notwendig. Mehrere Verzweifelte haben bereits geäussert, über Bord springen zu wollen, weil sie die Anspannung des Wartens nicht mehr aushalten. Viele haben während der Zeit, die sie auf seeuntüchtigen Booten auf offener See verbrachten, Sonnenbrand und Treibstoffverbrennungen erlitten. Eine Person musste evakuiert werden, nachdem sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert hatte. Darüber hinaus haben wir eine schwangere Frau an Bord.

Überlebende haben uns erzählt, wie in einem Gefangenenlager in Libyen Wachen einen Überlebenden mit einem Stahlstab auf sein Bein schlugen, bis sie ihm den Fuss brachen. Unzählige Menschen haben uns erzählt, dass sie mehrmals versucht haben, aus Libyen zu fliehen, aber von der libyschen Küstenwache auf See abgefangen und zurück in Internierungslager in Libyen gebracht wurden. Diese Menschen riskierten ihr Leben, um vor Gewalt und Missbrauch im vom Krieg zerrüttelten Libyen zu fliehen. Sie müssen unmittelbar an einem sicheren Ort von Bord gehen können – erst dann ist die Rettung abgeschlossen.»


Hintergrund:

  • Das Rettungsschiff von SOS MEDITERRANEE, der zivilen europäischen Organisation für Seenotrettung auf dem Mittelmeer, war am Montag letzter Woche nach längerem, Corona-bedingtem Hafenaufenthalt von Marseille ausgelaufen.
  • Kurz nach dem Eintreffen im zentralen Mittelmeer am Donnerstag wurden mittags die ersten 51 Menschen aus einem Boot in Seenot gerettet, darunter eine schwangere Frau. Stunden später die zweite Rettung: 67 Menschen wurden von der Crew aus einem weiteren Boot in Seenot gerettet.
  • Ein Mann musste Montagnacht durch die italienischen Seebehörden evakuiert werden, weil sein Gesundheitszustand sich verschlechterte.
  • Während die Ocean Viking auf die Zuweisung eines sicheren Hafens für die verbleibenden 117 Menschen an Bord wartete, konnte sie am Dienstag dieser Woche bei einem erneuten Einsatz 47 stark dehydrierte Menschen aus einem Holzboot retten. Nach Angaben der Überlebenden hatten sie bereits vier bis fünf Tage auf See verbracht. In der Nacht zu Dienstag wurden weitere 16 Personen aus einem kleinen Boot gerettet.

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Fotonachweis: Flavio Gasperini / SOS MEDITERRANEE

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