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„Da ich oft eine der einzigen Frauen auf den RHIBs bin, spüre ich die Verbindung besonders, wenn wir Frauen und Kinder retten. Oft sind sie so erleichtert, dass sie ihre Arme um mich schlingen, weinen und uns ausgiebig danken.“

Im September 2016 wurde Mary mit gerade mal 19 Jahren Teil des Such- und Rettungsteams auf der Aquarius und verbrachte sechs Monate an Bord. Gerade hat sie das erste Jahr ihres Hebammenstudiums abgeschlossen; die Entscheidung dazu traf sie während ihrer Zeit auf der Aquarius. Sie beschloss, sich während ihrer Semesterferien erneut dem Team von SOS MEDITERRANEE anzuschliessen – diesmal auf der Ocean Viking. Im Interview berichtet sie von den Vorbereitungen zur Rückkehr in den lebensrettenden Einsatz und von prägenden Erlebnissen aus ihrer Zeit auf der Aquarius.

Was hat Dich dazu bewogen, in Zeiten der COVID-19-Pandemie an Bord der Ocean Viking zu gehen?

Trotz der globalen Pandemie riskieren immer noch Menschen ihr Leben, um aus Libyen zu fliehen. Sie müssen gerettet werden, um zu leben. Auch wenn wir überall auf der Welt die Auswirkungen des Shutdowns auf unser tägliches Leben gesehen haben – Menschen, die von zu Hause aus arbeiten, Geschäfte, Cafés und Bars, die geschlossen sind, eingeschränkte Bewegungsfreiheit und so viele andere Vorsichtsmassnahmen -, gibt es Dinge, die einfach nicht länger warten können. SOS MEDITERRANEE war seit einigen Monaten aufgrund von Unterbrechungen im maritimen Sektor nicht im Einsatz. Eine Zeit, in der die Organisation auch ihre Protokolle an den gesundheitlichen Kontext anpassen musste. Jetzt sind wir bereit, unter bestmöglichen Sicherheitsbedingungen für Besatzung und Gerettete in den Einsatz zurückzukehren. Die damit verbundenen logistischen Herausforderungen sind enorm und kompliziert. Doch sobald wir sie gemeistert haben, ist es unsere Pflicht gegenüber denjenigen, die jeden Tag, unabhängig von der Pandemie, in Gefahr leben und ihr Leben riskieren, um sich in Sicherheit zu bringen, unseren Einsatz wieder aufzunehmen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in diesen schwierigen Zeiten auf Rettungen vorbereitet sind und dass so viele Vorkehrungen wie möglich getroffen werden, um unsere Besatzung und die geretteten Menschen zu schützen.

Du bist insgesamt sechs Monate lang Teil des Rettungsteams an Bord der Aquarius gewesen – in den Jahren 2016 und 2017. Was ist für Dich der schwierigste Teil einer Rettungsaktion?

Der schwierigste Aspekt einer Rettung ist das Unbekannte. Jede Rettung kann sich jederzeit zum Schlimmsten wenden; darauf müssen wir alle vorbereitet sein. Es hat noch nie eine Rettung gegeben, bei der ich selbst nicht die ganze Zeit zumindest leicht nervös war. Solange nicht jede einzelne Person an Bord und damit in Sicherheit ist, sind die Menschen aufgrund der überfüllten und nicht seetüchtigen Boote, in denen sie sich auf hoher See befinden, in Gefahr. Es ist immer wieder überraschend zu hören, dass die meisten von ihnen nicht wissen, wie weit Italien wirklich von Libyen entfernt ist. Viele von ihnen erzählten mir, dass sie von den Schmugglern angewiesen wurden zu den Ölplattformen vor der libyschen Küste zu fahren, und am Morgen würden sie dort sein… in Italien! Sobald wir Kurs auf einen sicheren Ort nehmen, sind sie schockiert wie gross die Entfernung eigentlich ist und kommen zu der Erkenntnis, dass sie es in ihren Botten nie geschafft hätten.

Wie stellt man eine Verbindung zu den Menschen in Not her, bevor man sie an Bord der schnellen Rettungsboote (RHIBs) in Sicherheit bringt?

Bei der ersten Annäherung an die Boote in Seenot, erklärt einer unserer Retter*innen wer wir sind, was wir tun werden und dass die Menschen an Bord Ruhe bewahren und den Anweisungen Folge leisten sollen. Als Besatzungsmitglied auf den RHIBs ist es wichtig, die Kommunikationslinie zwischen den Menschen und dem/der Ansprechpartner*in nicht zu stören – doch wir sind die Augen im Rücken. Es ist wichtig, einen Gesamtüberblick über die Situation zu behalten und in der Lage zu sein, mögliche Probleme zu erkennen. Da ich oft eine der einzigen Frauen auf den RHIBs bin, spüre ich die Verbindung besonders, wenn wir Frauen und Kinder retten. Oft sind sie so erleichtert, dass sie ihre Arme um mich schlingen, weinen und uns ausgiebig danken. Ich habe in diesen Momenten sogar Geschenke von Frauen erhalten! Eine Frau schenkte mir eine Halskette als Zeichen ihrer Dankbarkeit! Das hat mich wirklich berührt, denn diese Menschen sind mit nichts als der Kleidung auf dem Rücken geflohen. Die Rettung war ihre einzige Hoffnung auf Leben, es ist ein bedeutsamer Moment! Manchmal sind die Menschen äusserst kooperativ und machen die Rettung einfacher, reibungsloser und sicherer. Schwierigere Bedingungen führen jedoch oft zu mehr Panik und Stress, was bei einer Rettung immer ein Grund zur Sorge ist. Besonders bei nächtlichen Rettungen von Booten steigen Anspannung und Stress. Es ist einfach schwieriger, eine gute Verbindung zu den Menschen herzustellen, weil überall Taschenlampen unser Gesicht und unsere Körpersprache blockieren – es ist erstaunlich, was ein Lächeln bewirken kann!

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Interview: Laurence Bondard
Photo credits: Patrick Bar / SOS MEDITERRANEE

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