“Ich möchte, dass die Menschen wissen, was mir widerfahren ist, damit es wenigstens einen Sinn hat und dazu beitragen kann, dass meine Brüder und Schwestern weniger leiden müssen”.

DATUM

Jane kommt aus Kamerun und ist 23. Sie wurde in der Nacht des 5. Juli 2021 von SOS MEDITERRANEE gerettet. “Ich möchte, dass die Menschen wissen, was mir widerfahren ist, damit es wenigstens einen Sinn hat und dazu beitragen kann, dass meine Brüder und Schwestern weniger leiden müssen, ” sagte sie. Dies ist ein Zeugnis von einem Teil ihres Lebens. 

Warnhinweis – verstörender Inhalt: Der folgende Bericht enthält Beschreibungen von sexualisierter Gewalt. 

Ich arbeite als Kommunikationsbeauftragte auf der Ocean Viking. Zu meiner Arbeit gehört auch, die Geschichten jener Geretteten zu verbreiten, die möchten, dass diese überall bekannt werden. Dieser Erlebnisbericht ist leider nicht der erste seiner Art. Viele von der Ocean Viking gerettete Frauen und Männer teilen eine ähnliche Geschichte, und leider haben sich manche Leser*innen bereits daran gewöhnt. Trotzdem unterscheiden sich die Erlebnisse jeder Person von allen anderen und müssen zur Kenntnis genommen werden. Niemand darf sich daran gewöhnen, solche Geschichten zu lesen. 

Die Erinnerungen von Jane* übersteigen die Vorstellungskraft. Sie sind bereits für jeden schwer erträglich, aber sie hat alles am eigenen Leib erlebt. Als ich Jane zum ersten Mal im Frauenschutzraum sah, lachte sie, während sie mich mit ihren grossen schönen braunen Augen ansah. Während sie mir erzählte, was ihr widerfahren war, blickte sie mir die ganze Zeit in die Augen, ausser als sie über ihre Tochter sprechend von der Erinnerung überwältigt wurde.  

Janes Mutter starb als sie noch klein war. Ihre Familie war arm und verkaufte sie, um sie mit dem Dorfältesten eines benachbarten Dorfes zu verheiraten – er war 60, sie war gerade 14. In dieser Zwangsehe war sie wiederholt gezwungen, mit dem Mann Geschlechtsverkehr zu haben und brachte schliesslich eine Tochter zur Welt. Sieben lange Jahre später starb der Mann. Jane wurde gezwungen mehrere Tage neben der Leiche zu schlafen, bevor sie von der Familie des Mannes aus dem Dorf vertrieben wurde. Ihre Tochter musste sie zurücklassen; die Familie des Mannes behielt sie. Jane hat sie nie wieder gesehen. 

Dies war für Jane der Zeitpunkt, aus Kamerun zu fliehen. Ohne jede Unterstützung durch ihre Familie und ohne ihre Tochter wieder sehen zu können. Auf ihrer Flucht wurde sie erneut missbraucht, erst in Algerien und dann in Libyen. In Algerien wurde sie von einem Mann sexuell missbraucht, bevor sie erneut verkauft wurde – diesmal an eine libysche Miliz. Sie wurde monatelang in einem Gefangenenlager festgehalten. “Einer der Männer kam oft mit zwei, drei oder vier Männern. Wenn man von so vielen Männern gleichzeitig penetriert wird, tut es nicht nur weh, während es geschieht, sondern auch danach. Ich habe noch immer Schmerzen im Unterleib,” berichtet sie. 

Jane konnte schliesslich entkommen. Zusammen mit 368 anderen Personen, von denen die meisten ebenfalls vor Gewalt, Folter oder unmenschlicher Behandlung flohen und nichts mehr zu verlieren hatten, stieg sie auf ein Schiff aus Holz. 

Jane wurde von unserem Ärzteteam fachärztlich versorgt, bevor sie am 11. Juli 2021 an Land ging. 

 

 


*Der Name wurde geändert, um die Identität der Geretteten zu schützen. 

Bericht von Claire Juchat, SOS MEDITERRANEE Kommunikationsbeauftragte. 

Übersetzung: Oliver Frohmeyer 

Foto: Flavio Gasperini /SOS MEDITERRNEE 

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