Wir sind noch jung, zu jung, wir haben unser Leben noch nicht gelebt. Ich bin stolz, dass wir es geschafft haben, am Leben zu bleiben und all das Leid in Libyen überwunden zu haben. Heute sind wir stolz auf uns.“

DATUM

Vinia*, Sarah* und Kadi* sind von der Elfenbeinküste. Sie wurden am 12. Februar 2022 in der Nacht von einem überfüllten Holzboot gerettet, das 12 Stunden lang auf dem Meer trieb, nachdem der Motor ausgefallen war. Sie lernten sich bei ihrem ersten Fluchtversuch aus Libyen auf einem Schlauchboot kennen. Sie wurden von der libyschen Küstenwache abgefangen und in dasselbe Gefangenenlager gebracht. Gemeinsam erzählen sie uns ihre Geschichte.  

Crédit : Claire Juchat / SOS MEDITERRANEE

Vinia, 19 Jahre

Vinia verließ ihre Heimat 2021, weil sie dort weder studieren noch arbeiten konnte. Einige Freunde erzählten ihr, dass es in Libyen Möglichkeiten gebe. Sie beschloss, das Land zu verlassen, ohne es ihren Eltern zu sagen. „Ich wusste, dass sie mich nicht gehen lassen würden. Eines Abends packte ich meine wenigen Sachen zusammen und verließ mein Zuhause,” erzählt sie. Kaum war Vinia in Libyen angekommen, wurde sie entführt.Libyen ist nicht einfach, Frauen werden dort oft vergewaltigt. Ich habe so viele Schwierigkeiten durchgemacht. Man muss immer Geld, Geld, Geld geben. Sogar für ein unstabiles Boot müssen wir Geld bezahlen.“ Vinia versuchte zuerst auf einem Gummiboot das Meer zu überqueren, aber die libysche Küstenwache fing das Boot ab und brachte sie an Land zurück. „Ich wurde ins Gefängnis gesteckt. Ich hatte kein Geld mehr, ich musste mit Männern gehen, um Geld zu bekommen, damit ich überhaupt etwas essen konnte.” Vinia versuchte ein zweites Mal auf einem Holzboot Libyen zu verlassen, aber das Wetter wurde schlechter und der Motor fiel aus. „Wir waren verloren, aber dann kamt ihr.“ 

Kadi 25 Jahre

Kadi hat ihr Land aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit verlassen. Sie hat an der Universität studiert, konnte aber nach ihrem Abschluss keine Stelle finden. Da sie die Älteste in ihrer Familie ist, beschloss sie, die Elfenbeinküste zu verlassen, um woanders Möglichkeiten zu finden, ihre Eltern und Großeltern zu unterstützen. „Ich wusste, dass es eine schwere Entscheidung sein würde, die Elfenbeinküste zu verlassen, aber ich war bereit, alles auf mich zu nehmen. Ich musste stark sein, und ich werde für meine Familie stark sein. Du musst weitermachen.“ Kadi war bei ihrem ersten Fluchtversuch aus Libyen auf demselben Gummiboot wie Vinia und Sarah. „Als ich ins Gefängnis kam, begann für mich die Hölle. Ich war im Gefängnis schwanger, aber ich habe meinen Bauch versteckt, weil die Wärter oft auf die Bäuche schwangerer Frauen schlagen. Ich wollte nicht, dass mein Baby getötet wird. Es gelang mir zu fliehen, bevor ich mein Baby zur Welt brachte. Eines Tages kamen Polizisten oder Milizen in das Haus, in dem wir uns versteckten, und entführten uns, und ich verbrachte drei Monate mit meinem Baby im Gefängnis. Wir haben in Libyen zu viel Schmerz erlitten, das musste aufhören. Nicht nur wir Frauen werden schlecht behandelt, sondern auch die Männer. Es ist für niemanden einfach.“ 

 

Crédit : Claire Juchat / SOS MEDITERRANEE

Sarah 15 Jahre

Sarah verließ ihr Land in der Hoffnung, zu ihrer Mutter nach Europa zu gelangen. Sie ging zunächst nach Mali, dann nach Algerien und schließlich nach Libyen. Sarah verbrachte ein Jahr in Libyen. „Wenn du das Meer wählst, weißt du nicht, ob du sterben wirst oder nicht. Beim ersten Mal habe ich 700 Euro für die Reise mit einem Schlauchboot bezahlt. Selbst Babys müssen 700 Euro bezahlen. Aber es ist besser, das Risiko einzugehen auf See zu sterben, als in Libyen zu bleiben.“ Sarah wurde mit Kadi und Vinia zusammen abgefangen und in ein Internierungslager gebracht. „Man hat nur salziges Wasser zu trinken, man wird schlecht behandelt. Ich versuchte ein zweites Mal das Meer zu überqueren,“ erzählt sie. Sarah zahlte 1400 Euro für die Fahrt mit einem überfüllten Holzboot. „Ohne euch wären wir nicht mehr am Leben. Das Boot schwankte sehr stark, es war dunkel, das Wetter wurde immer schlechter. Wir sind noch jung, zu jung, wir haben unser Leben noch nicht gelebt. Ich möchte zur Schule gehen und eine Arbeit finden. Ich bin stolz, dass wir es geschafft haben, am Leben zu bleiben und all das Leid in Libyen überwunden zu haben. Heute sind wir stolz auf uns.“  

Von Claire Juchat, Kommunikationsmangerin an Bord der Ocean Viking, im Februar 2022 gesammelte Erfahrungsberichte.  

*Die Namen wurden geändert, um die Identität der Überlebenden zu schützen. 

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