„Wir wollten zurück nach Syrien, aber wir hatten keine andere Wahl. Wir wurden gezwungen, auf ein Boot zu steigen und unser Leben zu riskieren.“

DATUM

Sanad* aus Syrien wurde zusammen mit seiner Schwester Rezan* und seinen Kindern Sara*, 20, und Abed*, 12, am 31. Juli 2021 gerettet. An Bord der Ocean Viking erzählten uns Sanad* und Rezan* einen Teil ihrer Geschichte. 

Sanad floh vor vier Jahren vor dem Krieg in Syrien. „Ich habe ein Jahr und drei Monate in Deutschland verbracht. Ich habe versucht, meine Familie über die Familienzusammenführung nachzuholen, aber es gab keine Möglichkeit. Alles dauerte so lange, und es gab keine Fortschritte und keine Hoffnung. Ich konnte es nicht ertragen, von ihnen getrennt zu sein und entschloss, zurück nach Syrien zu gehen. Die Armee schikanierte meine Familie, weil ich in Deutschland einen Asylantrag gestellt hatte und niemand da war, um sie zu schützen. Nach meiner Rückkehr stürmte die Nationalgarde mit Granaten und Gewehren mein Haus, sie verprügelten mich vor den Augen meiner Familie. Sie schlugen meine Frau und meine Kinder vor meinen Augen. Meine Tochter wurde gegen ihren Willen und gegen meinen Willen gezwungen, einen der Soldaten zu heiraten. Er hat sie einfach mitgenommen. Nach drei Monaten hat er sie gehen lassen.“ Neben ihrer Tante Rezan weint Sara still, während ihr Vater diesen Teil der Geschichte erzählt, ihrer Geschichte. 

Das ist der Vater.

„Libyen war der einzige Ort, an den wir gehen konnten“, sagt Sanad. „Ich wollte arbeiten und dann meine Frau und meine andere Tochter nach Libyen holen. Aber wenn man in Libyen arbeitet, wird man nie bezahlt.“ In Syrien hatte Sanad als Klempner gearbeitet, während seine Schwester Rezan als Friseurin tätig war. „Mein Bruder und ich wollten uns in Libyen gegenseitig helfen“, erklärt Rezan. «Aber als ich in Libyen Frauen die Haare gemacht habe, haben sie mich nie bezahlt. Meine Brüder und Schwestern sind in Deutschland, aber der einzige Weg, um dorthin zu kommen, führt über das Meer. Wir konnten nur hoffen, dass wir überleben und zu ihnen gelangen, aber es ist eine Reise in den Tod». 

«Wenn man einmal in Libyen ist, gibt es keinen anderen Weg als das Meer», sagt Sanad. „Wir haben in Libyen viel gelitten. Auf dem Meer zu sterben ist besser, als an Hunger zu sterben. Der Schmuggler hielt uns 34 Tage lang fest. Wir haben den Tod an diesem Ort gesehen. Er nahm unsere Pässe und gab sie uns nie zurück. Als wir dort waren, wollten wir die Überfahrt mit dem Boot nicht mehr machen. Wir wollten zurück nach Syrien, aber wir hatten keine andere Wahl. Wir wurden gezwungen, auf ein Boot zu steigen und unser Leben zu riskieren.“ 

Dies ist das Boot, auf dem sie waren.

„Der Schmuggler sagte uns, es würde vier Stunden dauern, um nach Lampedusa zu gelangen. Stattdessen verbrachten wir 16 Stunden auf dem Meer“, erinnert sich Rezan. «16 Stunden unter der Sonne, ohne Essen und Wasser. Wir dachten, wir würden sterben. Wir sahen den Tod vor unseren Augen. Wir danken Gott, dass er euch im letzten Moment geschickt hat. Das Boot fing an, in zwei Teile zu brechen. An einem Punkt fing der Motor Feuer. Das Wasser stand uns bis zu den Knien.» 

Sanad macht sich vor allem Sorgen um seine Kinder. „Abed ist 12. Er war noch sehr klein, als der Krieg begann. Er kennt kein normales Leben. Er kennt nur den Krieg.» Abed sitzt neben seinem Vater und es ist schwer, sich vorzustellen, wie er sich versteckt, während um ihn herum Bomben fallen. Es ist schwer, sich vorzustellen, was er gesehen hat. An Deck kennt jeder Abed. Er macht ständig Witze mit anderen Überlebenden, mit der Crew, er bringt alle zum Lachen.  «Er hat nie lesen und schreiben gelernt, er konnte nie zur Schule gehen. In Deutschland will ich ihn unterrichten. Ich möchte, dass er lernt», sagt Sanad. «Auch meine Nichte», fügt Rezan hinzu. «Sara musste nach der 9. Klasse die Schule verlassen. Sie möchte ihr Studium in Deutschland fortsetzen.“ 

Abed ist auf diesem Foto neben Rebecca und Riad zu sehen.

 

*Alle Namen wurden geändert, um die Identität der Überlebenden zu schützen. 

Das Interview wurde von Julia Schaefermeyer gesammelt und mit Hilfe des Cultural Mediators an Bord der Ocean Viking im August 2021 übersetzt. 

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