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Die Ocean Viking zahlt den Preis für mangelnde Koordination durch libysche Seebehörden mit 20 Tagen administrativer Festsetzung und Geldstrafe  

Gestern, am 15. November, ordneten die italienischen Behörden eine 20-tägige administrative Festsetzung des zivilen Rettungsschiffs Ocean Viking an und verhängten eine Geldstrafe von 3.300 €. Die Ocean Viking wird auf der Grundlage des Gesetzesdekrets Nr. 1 vom 2. Januar 2023, allgemein als „Piantedosi-Dekret“ bezeichnet, festgehalten. Dies, obwohl die Mannschaft ihrer unbestreitbaren gesetzlichen Verpflichtung zur Rettung von Menschen in Seenot nachgekommen ist, während die Kommunikation mit den libyschen Seebehörden praktisch unmöglich war.  

Nach einer ersten Rettung von 33 Personen in der libyschen Such- und Rettungszone in der Nacht von Freitag auf Samstag, den 11. November, wies das italienische Koordinationszentrum für Seenotrettung (MRCC) die Ocean Viking an, nach Ortona zu fahren, um die Überlebenden an Land zu bringen. Kurz vor 3 Uhr in derselben Nacht, als die Ocean Viking auf dem Weg nach Ortona war, erhielt sie eine Meldung über ein Boot in Seenot, mit 34 Schiffbrüchigen an Bord, nur 16 Seemeilen vom Rettungsschiff entfernt. Das italienische MRCC verwies die Ocean Viking an das libysche Joint Rescue Coordination Center (JRCC). In den folgenden zwei Stunden versuchte die Ocean Viking, mit den zuständigen lybischen Behörden zu kommunizieren, um Anweisungen zu erhalten, während sich 34 Personen in unmittelbarer Lebensgefahr befanden. Heute wissen wir, dass mindestens eine Person bei ausbleibender Rettung verstorben wäre.  

In dieser Nacht war die Kommunikation mit dem libyschen JRCC, wie die meiste Zeit über, fast unmöglich. E-Mails von der Ocean Viking blieben unbeantwortet. Anrufe wurden nicht angenommen oder es waren keine Englisch sprechenden Personen erreichbar. Schliesslich meldete sich ein Offizier, der jedoch nur gebrochen Englisch sprach und lediglich nach dem genauen Standort des Notfalls fragte. „Es gab keinen Hinweis darauf, dass die Rettung der in Not geratenen Personen anläuft. Trotz all der Versuche der Ocean Viking, sich um eine Koordination zu bemühen, lieferten keine weiteren Schifffahrtsbehörden Informationen oder Hilfe. Die Ocean Viking musste daher ihrer Pflicht zur Hilfeleistung nachkommen. In der Zwischenzeit wurde die Ocean Viking ständig an die drohende Inhaftierung durch das italienische MRCC erinnert, wenn eine eindeutige Anweisung zur Rettung ausbleibt. Unsere einzige klare Anweisung war, unverzüglich nach Ortona zu fahren, während sich mitten in der Nacht und in der Nähe unseres Rettungsschiffes, Menschen in Seenot befanden“, erklärt Luisa Albera, Such- und Rettungskoordinatorin an Bord der Ocean Viking.  

Das internationale Recht lässt keinen Raum für Zweifel: Die 34 Schiffbrüchigen mitten auf dem Meer ihrem Schicksal zu überlassen, wäre illegal und moralisch falsch gewesen. Die Chancen, dass es dieses Boot und die darauf reisenden Menschen ohne Hilfe sicher ans Ufer geschafft hätten, waren gering. Ein Mann, der aus dem Boot gerettet wurde, brach aufgrund einer erheblichen Treibstoffinhalation zusammen und musste mit Sauerstoff und Flüssigkeit versorgt werden. Ohne Rettung hätte dies zu schwerer Atemnot oder zum Tod führen können. Viele Gerettete, darunter auch Minderjährige, erlitten schwere Verbrennungen durch Treibstoff und mussten dringend medizinisch versorgt werden. Heute wird die Ocean Viking festgesetzt, weil sie Menschen in unmittelbarer Lebensgefahr auf See nicht zurückgelassen hat.  

„Wir haben bei jedem Schritt unserer Such- und Rettungseinsätze immer transparent und proaktiv mit allen zuständigen Behörden kommuniziert und uns stets um eine Koordinierung mit den zuständigen Behörden bemüht, aber das Piantedosi-Dekret stellt einen unmöglichen Widerspruch zum Seerecht dar: Die Pflicht zur Seenotrettung gilt auch dann, wenn die zuständigen Behörden ihrer Pflicht zur Koordinierung einer Rettung nicht nachkommen. Schiffbrüchige einem unbekannten Schicksal auf See zu überlassen, ist illegal. Das Risiko von Festnahmen und Geldstrafen, weil man von den zuständigen Staaten nicht die richtigen Anweisungen zur Rettung von Menschen aus Seenot erhalten hat, stellt ein Dilemma dar, dem sich keine oder keiner aus einem Rettungsteam aussetzen sollte. Es ist unfassbar, dass eine humanitäre Organisation für ihre lebensrettende Arbeit bestraft wird, weil die zuständigen Behörden es nicht geschafft haben, die Rettungsmassnahmen im zentralen Mittelmeer wirksam zu koordinieren“, sagt Caroline Abu Sa’Da, Mitbegründerin und Generaldirektorin von SOS MEDITERRANEE Schweiz.

Infolge des Gesetzesdekrets Nr. 1 vom 2. Januar 2023 wurden NGO-Schiffe in diesem Jahr insgesamt 12-mal festgehalten, wodurch das zentrale Mittelmeer im tödlichsten Jahr seit 2017 von lebenswichtigen Rettungskapazitäten abgeschnitten wurde. Allein an diesem Wochenende kamen mehrere Menschen bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren ums Leben oder wurden vermisst. Anstatt angemessen auf die humanitären Bedürfnisse an seiner Südgrenze zu reagieren, setzt Europa diejenigen ausser Gefecht, die versuchen, Leben zu retten.  

 

Credits: Jérémie Lusseau / SOS MEDITERRANEE

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