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Rebecca - Leiterin des medizinischen Notfallteams an Bord der Ocean Viking

February 11, 2025

Rebecca, Leiterin des medizinischen Teams: "Erst in diesem Moment begann er, an sich selbst zu denken, vorher hatte er nur die anderen Menschen im Blick.

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Rebecca - Leiterin des medizinischen Notfallteams an Bord der Ocean Viking

"Erst in diesem Moment begann er, an sich selbst zu denken, vorher hatte er nur die anderen Schiffbrüchigen im Blick."

February 11, 2025

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An Bord der Ocean Viking geht es nicht nur um die Behandlung schwerer Verletzungen. Immer wieder beeindrucken uns die Geretteten durch ihre unglaubliche Widerstandskraft und Selbstlosigkeit. An diesem Tag kam ein Mann mit leiser Stimme in unsere Bordklinik. Obwohl er in einem kritischen Gesundheitszustand war, machte er sich mehr Sorgen um das Wohlergehen der anderen als um sich selbst. Rebecca, Leiterin des medizinischen Notfallteams, erzählt die Geschichte eines Überlebenden, die sie besonders bewegt hat.

"Ich erinnere mich an eine Rettung, bei der die Menschen an Bord des Bootes zuvor von einer anderen NGO stabilisiert* worden waren. Als meine Kollegen von den Rettungsbooten eine Trage anforderten, war ich überrascht: Während des Stabilisierungsvorgangs* hatten wir keine Person identifizieren können, die dringend medizinische Notfallhilfe benötigte.

Dann kam er an Bord: ein Mann aus der Subsahara-Region, sowohl ruhig und höflich, aber auch sehr zurückhaltend. Sein Aussehen liess ihn gleichzeitig älter und jünger wirken. Sein wahres Alter war nicht erkennbar.  Während dem gesamten Rettungseinsatz hatte er weder unsere Aufmerksamkeit gesucht noch um Hilfe gebeten. Erst als fast alle anderen aus dem Schiffswrack evakuiert worden waren, sagte er leise: "Vielleicht brauche ich Hilfe beim Laufen."

Meine Kollegen auf dem Rettungsboot erkannten sofort grossflächige Hautverbrennungen am ganzen Körper. Anfangs hielten sie diese für das Ergebnis des ätzenden Gemischs aus Benzin und Salzwasser, was bei geretteten Menschen häufig vorkommt. Doch als wir ihn an Bord brachten, sahen wir das wahre Ausmass seiner Verletzungen: Seine Haut war an vielen Stellen verkohlt, an einigen Stellen waren sogar Knochen sichtbar. Diese Verbrennungen stammten nicht von dem giftigen Gemisch aus Benzin und Salzwasser, sondern waren Verbrennungen, die durch die Einwirkung von echtem Feuer verursacht worden waren. Erst später erzählte er uns, dass er in Libyen versucht hatte, aus der Haft zu fliehen. Er sprang aus dem vierten Stock eines Gebäudes, direkt in ein Feuer, das mehrere Meter unter ihm loderte.

  

Doch schwerer als seine äusseren Verletzungen waren die unsichtbaren Wunden. Ohne ein einziges Wort des Schmerzes hatte dieser Mann nicht nur Libyen hinter sich gelassen und die lebensgefährliche Überfahrt über das Mittelmeer überlebt, sondern auch den gesamten Rettungseinsatz mit einem schweren Wirbelsäulenbruch durchgestanden. Eine Verletzung, welche ihn dauerhaft hätte lähmen können.

Erst als wir ihn fragten, was ihm am meisten wehtat, wurde das volle Ausmass seines gesundheitlichen Zustandes wirklich deutlich. Dies war auch der erste Moment, in dem er sich die Zeit nahm, an sich selbst zu denken, anstatt an die anderen Überlebenden dieses Schiffunglücks.

Eine Überfahrt mit einer solchen Fraktur, die eine sofortige Operation erfordert hätte (wie wir später nach seiner Evakuierung erfuhren), ohne dabei eine dauerhafte Lähmung zu erleiden, grenzt schlichtweg an ein Wunder. Zumal er auch unter Verbrennungen dritten Grades litt, die so tief gingen, dass der Knochen seines Mittelfusses freigelegt worden war. Später berichtete er mir von seiner verzweifelten Flucht. Eine Geschichte, die schwer zu ertragen ist. In all den Jahren an Bord haben wir selten jemanden mit so schweren Verletzungen und Traumata erlebt.

"Gleichzeitig mussten wir seine dringende medizinische Evakuierung organisieren."

‍Stundenlang versorgten wir seine Wunden, hielten ihn so ruhig wie möglich und linderten seine Schmerzen. Gleichzeitig organisierten wir seine medizinische Notfallevakuierung, während unser Team sich um viele weitere Gerettete kümmern musste, die ebenfalls dringend Hilfe benötigten.

Eine medizinische Evakuierung erfordert die volle Konzentration und Zusammenarbeit aller Teams an Bord. Er musste auf einer stabilen Trage transportiert werden, um ihn sicher von unserem Schiff auf das viel kleinere Shuttle der italienischen Küstenwache zu übergeben. Jede Erschütterung hätte fatale Folgen haben können. Wir hatten dieses Manöver oft in unseren Trainings geübt, aber an diesem Tag mussten wir es zum ersten Mal unter realen Bedingungen durchführen.

Einige Monate später, bei einer Veranstaltung von SOS MEDITERRANEE, traf ich den Arzt der italienischen Küstenwache wieder, mit dem ich damals zusammengearbeitet hatte. Er fragte mich: "Wie habt ihr gewusst, dass er eine Wirbelsäulenfraktur hatte? Die Ärzte in Sizilien konnten nicht glauben, dass ihr das erkannt habt!" Meine Antwort war so einfach wie komplex: Wir waren uns nicht sicher, aber der Überlebende wusste es. Und trotzdem stellte er das Leben der anderen über sein eigenes. Er sorgte dafür, dass sie in Sicherheit waren, bevor er selbst um Hilfe bat.

Noch heute wissen alle, die damals an Bord waren, sofort, von wem die Rede ist, wenn sein Name fällt, obwohl wir seitdem Hunderte von weiteren Menschen gerettet haben.


Mehr Informationen zu den Gesundheitlichen Herausforederungen bei der Betreuung der Geretteten auf der Ocean Vikining befinden sich in folgendem Dossier:

MIT MENSCHLICHKEIT BEHANDELN

*Eine Stabilisierung erfolgt in der Regel, indem ein Boot in der Nähe eines in Seenot geratenen Wasserfahrzeugs bleibt, um die Überlebenden zu beruhigen und ihre Sicherheit zu gewährleisten, bis ein größeres Schiff zur Rettung eintrifft.

Credits Titelfoto: Max Cavallari / SOS MEDITERRANEE

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