Im Oktober fotografierte Lucille nachts die Teams der Ocean Viking, wie sie vor Malta nach zwei in Seenot geratenen Booten Ausschau hielten.
Lucille berichtet von der Ocean Viking
Heimatland
Rettungsdatum
Alter
SUCHE BEI NACHT
Auf der Brücke, wo die Suche durchgeführt wird, ist die Atmosphäre angespannt. Die Mannschaft ist still. Wir suchen nach einem Boot in Seenot mit sieben Personen an Bord. Ich beobachte, wie meine Kolleg*innen mit Suchscheinwerfern Notsignale setzen. Die Zeit vergeht wie im Flug und der Wind nimmt zu. Ich frage mich, wo sie sind. Ist ihnen kalt? Sind sie verängstigt? Mehrere Stunden lang suchen wir gemeinsam mit einem anderen Rettungsboot mitten in der Nacht nach ihnen. Vergeblich.
Am nächsten Tag erhalten wir einen weiteren Notruf. Wieder ist mitten in der Nacht das ganze Team wach. Die Crew des Such- und Rettungsteam hält nacheinander Ausschau. Wir suchen nach einem Glasfaserboot mit 60 Personen an Bord. Ein in der Nähe befindliches Frachtschiff teilt uns über UKW mit, dass die Besatzung ein leeres Boot gesichtet hat, auf das die Beschreibung passt. Wir suchen nach dem Schiff, um sicherzugehen. Aber wir finden nichts. Es ist 5 Uhr morgens, die Suche ist beendet. Ich habe einen Kloß im Hals. Ich höre, wie einer meiner Kolleg*innen wütend wird. Wurden sie abgefangen und zurück in die Hölle von Libyen gebracht, oder sind sie über Bord gefallen? Wir werden es wohl nie erfahren. Es fällt mir schwer, einzuschlafen, weil ich an die denke, die ich nie kennenlernen werde.
Die zweite Nacht:
In dieser Nacht, als unsere schnellen Rettungsboote im Wasser sind, kann ich es trotz Dunkelheit in der Ferne sehen. Es ist ein 12 Meter langes Segelboot, das mit 75 Personen an Bord völlig überfüllt ist und wegen der Wellen und dem Wind stark schaukelt.
Wir kommen näher und richten unsere Suchscheinwerfer auf das Schiff. Ich beginne, Gesichter zu erkennen. Mindestens fünfzig Menschen – ohne Schwimmwesten – sind auf dem Dach des Bootes zusammengepfercht. Ich sehe die Kinder sofort. Ich hatte nicht damit gerechnet, so viele zu sehen und bin schockiert. Mein Blick fällt auf ein kleines Mädchen, etwa zehn Jahre alt, und ich bemerke, dass sie eine kleine Tasche bei sich trägt, an deren Seite ein kleines Kuscheltier hängt. Das kleine Mädchen sieht mich an und lächelt. Ich erstarre – ich weiß nicht, was ich denke, aber ich bin überwältigt. Ich bleibe ein paar Sekunden stehen, aber die Stimme eines Kollegen, der mich ruft, bringt mich wieder zum Handeln, und wir beginnen mit der Verteilung der Schwimmwesten.
Es war ein komplizierter Rettungseinsatz, aber die Teams der Ocean Viking haben die 75 Menschen, darunter 17 Kinder, sicher von dem Segelschiff evakuiert. Das Schiff war von der Türkei aus gestartet und war eine Woche lang auf See gewesen. Dieses kleine Mädchen war mit seiner Familie vor dem Taliban-Regime in Afghanistan geflohen, wo es ihr verboten war, zur Schule zu gehen.
Credits Titelbild: Lucille Guenier / SOS MEDITERRANEE
News
Einsatzbericht 15/24 - 48 Personen in der libyschen SAR-Region aus Seenot gerettet
Notfallszenarien auf dem Meer und wie diese beurteilt werden
BLEIB INFORMIERT
Abonniere jetzt unseren Newsletter für Einblicke in die Rettungseinsätze der Ocean Viking, Einladungen zu Aktionen und aktuellen Infos zur Lage im Mittelmeer!