Was sind die grössten Herausforderungen bei Einsätzen im zentralen Mittelmeer wenn es sich um die Beurteilung von Notfallszenarien geht?
Notfallszenarien auf dem Meer und wie diese beurteilt werden
Heimatland
Rettungsdatum
Alter
SOS MEDITERRANEE hat bis heute fast 400 Rettungseinsätze im zentralen Mittelmeer durchgeführt. Diese Route ist die tödlichste Migrationsroute der Welt.
Was sind die grössten Herausforderungen bei Einsätzen im zentralen Mittelmeer?
Die grossen Entfernungen (300-400 km), der Mangel an staatlichen Such- und Rettungskapazitäten, und die unzureichende oder fehlende Koordination der Küstenwachen. Darüber hinaus verkompliziert die Grösse der Rettungszone die Koordination der Rettungseinsätze: Es handelt sich um ein riesiges Gebiet, indem Boote in Seenot weit voneinander entfernt und isoliert sein können. Das macht es noch schwieriger, sie zu finden und ihnen zu helfen.
Wann spricht man von einer Notsituation?
- das Vorliegen eines Hilfeersuchens, wobei ein solches Ersuchen nicht der einzige Faktor ist, um das Vorliegen einer Notsituation zu bestimmen
- der Zustand der Seetüchtigkeit des Schiffes und die Wahrscheinlichkeit, dass es sein Endziel nicht erreichen wird
- die Anzahl der Personen an Bord im Verhältnis zum Typ und Zustand des Schiffes
- Vorräte wie Treibstoff, Wasser und Nahrung, um ein Ufer zu erreichen
- Vorhandensein einer qualifizierten Besatzung und das Kommando über das Schiff
- die Anwesenheit einer qualifizierten Besatzung und die Schiffsführung
- die Verfügbarkeit und Kapazität der Sicherheits-, Navigations- und Kommunikationsausrüstung;
- die Anwesenheit von Personen an Bord, die dringend medizinische Hilfe benötigen
- die Anwesenheit von verstorbenen Personen an Bord
- die Anwesenheit von schwangeren Frauen oder Kindern an Bord
- die Wetterbedingungen und der Zustand der See, einschließlich der Wetter- und Seevorhersagen.
Was sind die internationalen Standards für Rettungseinsätze?
Gemäss Konventionen wie dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS) und dem Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See (SAR) bewerten die Seenotretter die Seetauglichkeit, Sicherheit und Fähigkeit eines Wasserfahrzeugs, einen sicheren Hafen zu erreichen. Bei diesen Bewertungen werden Faktoren wie Überladung, Stabilität, der Zustand der Sicherheits- und Kommunikationsausrüstung sowie die aktuellen Umweltbedingungen berücksichtigt. Durch Einhaltung internationalen Standards gewährleistet SOS MEDITERRANEE, dass ihre Rettungseinsätze den gesetzlichen und humanitären Anforderungen entsprechen. Jeder Einsatz bedingt ein umfangreiches maritimes Fachwissen und eine umfassende Vorbereitung.
Wie werden die jeweiligen Seenotfälle beurteilt?
Die richtige Einschätzung von Seenotfällen ist das A und O bei der Vorbereitung eines Rettungseinsatzes. Wenn ein Boot gesichtet wird, prüft das Team zunächst den Zustand der Seetüchtigkeit. Das bedeutet, dass beurteilt wird, ob das Boot strukturell seetüchtig ist und ob es die Fähigkeit besitzt, ohne fremde Hilfe einen sicheren Zielort zu erreichen. Die angetroffenen Boote sind in der Regel unsicher und bestehen aus Materialien, die für die Bedingungen des Mittelmeers ungeeignet sind.
Die Anzahl der Personen an Bord wird mit der Größe und dem Zustand des Bootes verglichen. Besonders überladene Boote sind extrem gefährdet, da das Risiko des Kenterns oder anderer Stabilitätsprobleme erhöht wird. Weiterhin überprüft das Team die Verfügbarkeit und Funktionsfähigkeit der Sicherheits- und Kommunikationsausrüstung, die für die Bewältigung von Notfällen auf See unerlässlich ist.
Faktoren wie die Anwesenheit von Personen, die dringende medizinische Versorgung benötigen, von schwangeren Frauen oder Kindern werden ebenfalls berücksichtigt, da diese Personen möglicherweise vorrangige Hilfe benötigen. Zudem werden die aktuellen Wetterbedingungen und -vorhersagen beachtet, da eine unruhige See oder schlechtes Wetter eine bereits gefährliche Situation noch verschlimmern können.
Was für Bootstypen sind am häufigsten in Seenotsituationen anzutreffen?
Der Zustand der Boote ist eine weitere Herausforderung in der Seenotrettung. Die meisten gesichteten Boote sind überladen und unsicher gebaut und somit seeuntauglich. Sie befinden sich in Seenot und erfordern ein schnelles und gezieltes Eingreifen. Ein geschultes Rettungsteam muss dabei die Dringlichkeit und Sicherheit abwägen und die Situation sorgfältig bewerten. Im zentralen Mittelmeer treffen die Teams von SOS MEDITERRANEE hauptsächlich auf zwei Arten von Booten in Seenot: Schlauchboote und Holzboote. Jedes stellt unterschiedliche Herausforderungen dar, die eine spezifische Rettung erfordern.
- Schlauchboote, die oft überladen sind, werden aus wenig widerstandsfähigen Materialien hergestellt. Unter Übergewicht neigen sei dazu, Luft abzulassen oder zu reißen, wodurch die Passagiere der Gefahr des Ertrinkens ausgesetzt sind. Ihre geringe Stabilität erhöht die Gefahr zudem bei plötzlichen Bewegungen oder ungünstigen Wetterbedingungen.
- Holzboote sind in der Regel robuster, aber aufgrund der Überladung mit einem hohen Risiko des Kenterns behaftet. Die ungleichmäßige Verteilung der Passagiere und der oftmals schlechte Zustand des Schiffes verschärfen das Risiko des Umkippens, vor allem in rauen Gewässern.
Jede Situation auf See ist einzigartig und erfordert neben einer spezifischen Analyse fundiertes maritimes Fachwissen und viel Mut, um eine erfolgreiche Rettung zu gewährleisten.
Credits Titelbild: Claire Juchat / SOS MEDITERRANEE
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